HUBER.HUBER
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huber.huber and the authors
huber.huber 40 Hz
Galerie DuflonRacz, Gerechtigkeitsgasse 40, 3011 Bern
30. April - 28. Mai 2016
/DuflonRacz/ gallery is proud to present a new solo show by twin-brothers huber.huber. A presentation consisting of recent cycles of work unifies all three gallery spaces around the theme of promises of spiritual salvation and the search for meaning in a society seemingly founded on a belief in scientific method and progress. Their work is characterized by a poetic ease and sensual presence, balanced by a sense of irony and the bizarre.
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Die Galerie /DuflonRacz/ freut sich, unter dem Titel «40 Hz» erneut eine Einzelausstellung der Zwillingsbrüder huber.huber (Reto und Markus Huber, *1975) zu zeigen. Mit einer auf alle drei Ausstellungsräume zugeschnittenen Präsentation von neueren Werkzyklen widmen sich die Künstler dem Thema der Heilsversprechen und der spirituellen Sinnsuche in einer scheinbar von Wissenschaft und Technikglauben geprägten Gesellschaft. Heilende Kristallschädel treffen auf «beflügelnde» Energy-Drinks, Achatfragmente versprechen Schutz gegen Liebeskummer oder Zahnschmerzen, oder sorgen für positive Energie im Wohnzimmer. Charakteristisch für ihr vielschichtiges Werk verbinden huber.huber poetische Leichtigkeit mit einem Sinn für Ironie, Skurrilität und unterschwellig Bedrohliches.
Die in den Ausstellungsräumen verstreuten, bunten Dosen kommen uns als Behälter für einen verbreiteten Energy-Drink bekannt vor. Aber hier erscheinen sie anders und etwas befremdlich: brachial von Spannseilen umschlungen sitzt auf dem Deckel jeder Dose ein kleiner Schädel aus Kristall. In der Werkserie «Energy» (2016) treffen zwei Versprechen in einem prägnanten Bild aufeinander: Kristallschädeln werden in esoterischen Kreisen bewusstseinserweiternde energetische Schwingungen nachgesagt, die heilende Kräfte entfalten, während Energy-Drinks für ihre stärkende, den Organismus belebende Wirkung angepriesen und massenhaft konsumiert werden. In ihrem Kern ähneln sich diese Versprechen: Konzentration, Klärung, Energie, Ausgeglichenheit und Beschwingtheit – der Katalog an positiven Wirkungen lässt diese Objekte wie geballte Ladestationen für körperliche und geistige Energien erscheinen.
Darüber hinaus werden esoterische Heilmethoden und chemische Putschmittel wie Energy-Drinks auch als Weg zur Steigerung der individuellen Produktivität und Leistungsfähigkeit vermarktet. Auf diese Zusammenhänge spielt auch der Titel der Ausstellung an: «40 Hz» verweist auf die elektrische Frequenz der Gammawellen (100 - 38 Hertz). Bei der Messung menschlicher Hirnwellen zur Abbildung unseres Bewusstseins wird diese Frequenz mit Spitzenleistungen («peak performance»), starker Fokussierung und Konzentration, Meditation, sowie mystischen und transzendenten Erfahrungen in Verbindung gebracht. Solche energetische Schwingungen dienen auch als Erklärung für die heilende, regulierende Wirkung, die anderen Kristallformen zugeschrieben wird. So wird zum Beispiel von Kristallsalzen wie dem Himalayasalz behauptet, dass sich darin biophysikalisch ungefähr die gleichen Schwingungsfrequenzen messen lassen wie in unseren Körpern – nämlich 40Hz.
Dieses Zusammenspiel von wissenschaftlichen Begriffen, esoterischen Versprechen und quasi-metaphysischen Verheissungen trifft den Kern der inhaltlichen Auseinandersetzung der Ausstellung mit dem Phänomen der spirituellen und körperlichen Heilsversprechen in den modernen Industriegesellschaften. In einer scheinbar von Wissenschaft, Skepsis und Aufklärung bestimmten Gesellschaftsform entwickelt sich mindestens seit den 1960er Jahren ein Boom an spirituellen und esoterischen Angeboten. Ihre Rhetorik der Reinigung, Transzendenz, Heilung und Selbstoptimierung hat sich inzwischen auf ein breites Spektrum unserer Alltagskultur ausgedehnt: vom Wellnessweekend bis eben hin zur verlockenden Kraft des täglichen Energy-Drinks. So greift die Arbeit «Das Versprechen» (2016) die populäre Praxis der Steinheilung auf: wie in einem esoterischen Mineralienfachgeschäft ist jedes Bild mit einem Stück des «Superheilers» Achat versehen und auf eine bestimmte Wirkung eingestellt («Gegen Verbitterung», «Gegen Schlafstörungen»). Als Skulpturen entfalten die «Achatkonstrukte» (2016) eine räumliche Wirkung: Im Wohnraum sollen sie Ruhe, Geborgenheit und positive Energie ausstrahlen. Zudem: «Achat hält das Böse und Einbrecher ab», während Rosenquarz und Amethyst in der Arbeit «Amor und Psyche» (2015) durch Liebe und Harmonie die Psyche stärken.
Stellt sich die Frage, was man in einem Kunstraum mit diesen Versprechen anfangen soll. Kann man denn heutzutage ein Kunstwerk als Heilsbringer verstehen? Bietet einem die Galerie eine ähnliche Erfahrung wie der Steinladen? Gerade das vielschichtige Verhältnis der modernen Kunst zu spirituellen Strömungen und Verheissungen aller Art (von der Romantik über Kandinsky und die Surrealisten, von Barnet Newman bis zu Joseph Beuys) weist darauf hin, dass ein gewisser Widerstand gegen die Entzauberung der Welt im Herz der Moderne angelegt war und in unserem ambivalenten Verhältnis zu sowohl Wissenschaft als auch Glauben fortlebt.
Die Ausstellung spielt mit dem Angebot an den Betrachter, auch die Kunst als Mittel, die Seele zu therapieren, zu verstehen, entzieht sich dieser Schlussfolgerung jedoch im gleichem Masse, wie sie eine Gratwanderung vollzieht zwischen Kritik an unwissenschaftlichen Heilsversprechen einerseits und an der Seelenlosigkeit der Gesellschaft, die diese hervorbringt, andererseits. huber.huber verstehen Kunst nicht als weiteres Heilsversprechen sondern als eine Möglichkeit, gesellschaftliche und materielle Phänomene nachzuzeichnen und zu befragen. So stellen ihre Arbeiten immer wieder mit vielfältigen ästhetischen Mitteln die Frage nach dem ambivalenten Verhältnis von Zivilisation und Natur – eine Auseinandersetzung, die auch in dieser Ausstellung konsequent weitergeführt wird.
Der zentrale, dunkle Raum der Ausstellung scheint dem Betrachter auf den ersten Blick ein Rätsel zu stellen: Gibt es hier noch mehr zu sehen? Was steht in der Leuchtschrift geschrieben? Erst die Konfrontation mit dem eigenen Spiegelbild, die unsere körperliche Präsenz in der Ausstellung unterstreicht, ermöglicht die Beantwortung dieser Fragen. «Vanity», zu deutsch Eitelkeit, hat bekanntlich eine doppelte Bedeutung. Einerseits steht es für das Streben nach körperlicher oder seelischer Selbstoptimierung, für die wir beim Blick in den Spiegel Bestätigung suchen. Andererseits steht es für die Vergänglichkeit aller Dinge, die den Kern der historischen Tradition der Vanitas-Darstellungen bildet (auf die das wiederkehrende Motiv der Kristallschädel ebenfalls anspielt). Wie verhält sich unsere Suche nach Selbstoptimierung zum Wissen um unsere eigene Körperlichkeit und Vergänglichkeit? Die dunkle Kammer der Ausstellung richtet den Fokus auf den Betrachter und lädt zur Selbstreflexion ein.
Über die Künstler:
Die Zwillingsbrüder huber.huber (*1975, Münsterlingen, leben und arbeiten in Zürich) arbeiten seit ihrem Abschluss an der Hochschule für Gestaltung und Kunst, Zürich im Jahr 2005 zusammen. 2005 wurden sie mit dem New York Stipendium der Stadt Zürich ausgezeichnet, 2006 gewannen sie den Kulturpreis Julius Baer, 2007 den Förderpreis der UBS Kulturstiftung, 2009 wurden sie für den renommierten Vordemberge-Gildewart Preis nominiert und 2015 erhielten sie ein Werkstipendium des Kantons Zürich. Es folgten institutionelle Einzelausstellungen unter anderem im Kunsthaus Glarus (2008), Museo Cantonale d’Arte Lugano (2009), im Dienstgebäude Zürich (2011) und zuletzt im Aargauer Kunsthaus (2015) und in der Kunsthalle Arbon (2016). 2011 publizierte Edition Patrick Frey ihre als Künstlerbuch gestaltete Monographie «Universen». Ihre Arbeiten sind unter anderen in den Sammlungen Kunsthaus Zürich und Aargauer Kunsthaus vertreten.
«40Hz» ist ihre vierte Zusammenarbeit mit /DuflonRacz/, nach «Das Ende der Ewigkeit» (2013), «Schatten der Vergangenheit» (kuratiert von Heinrich Gartentor im /ProjektLinks/ 2009), und «Eine Versuchsanordnung» in der ehemaligen Galerie bis Heute (2006). huber.hubers Werk umfasst Arbeiten in verschiedenen Medien, besonders Collage, Objekte und Video. Ihre herausragende Position in der jüngeren Schweizer Gegenwartskunst verdanken sie auch einer konsequenten inhaltlichen und ästhetischen Auseinandersetzung, die sich vereinfachend unter den Stichworten «Aufeinandertreffen von Natur und Zivilisation» und «Vergänglichkeit» fassen lässt.